5>d .7

•‘7r'f/f

$

rJ§

.’H

Die Lehren des Hermes Trismegistos.

Inaugural-Dissertation

zur Erlangung der Doktorwürde

eingereicht bei der

Hohen Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms

Universität zu Münster in West!.

von

L.

Josef Kroll

aus Arnsberg in Westfalen.

Münster in Westfalen 1913.

Druck der Aschendorffschen Buchdruckei«.

Dekan der philosophischen Fakultät: Prof. Dr. Spannagel.

Referent:

Prof. Dr. Kroll.

Vorliegende Dissertation ist der Teildruck einer größeren Arbeit, die in nächster Zeit als XII, 2/4 der von CI. Baeumker herausgegebenen Bei¬ träge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters erscheinen wird.

Meinem Lehrer

Herrn Professor Dr. Wilhelm Kroll

in dankbarer Verehrung zugeeignet.

I. Hauptteil.

Die Götterlehre des Hermes.

A. fieoi V 0 7] [AÖ.TLXOL.

1. Kap. Der höchste Gott.

1. Allgemeine Orientierung über den Gottesbegriff.

Im Anfang aller menschlichen Verhältnisse steht die Vielheit. Die Kondensierung des Vielgestaltigen zu einem Einheitlichen, die Zusammenfassung getrennter Kräfte zur Resultante, die Zentrali¬ sation ist das Merkmal jeder aufsteigenden Entwicklung. Dieser Gedanke, der uns modernen Menschen vertraut ist und dessen Berechtigung an den mannigfachsten Beispielen ihre Probe bestehen kann, ist erst seit kurzem für die religionsgeschichtliche Erkenntnis vom Werden des Gottesbegriffs fruchtbar gemacht worden. Erst seit Useners Götternamen haben wir den rechten Blick dafür bekommen, wie die Entwicklung von zahllosen Sonder- und Augen¬ blicksgöttern zur Zusammenfassung in den olympischen Götter¬ himmel vor sich gegangen ist. Jeder weiß, daß die antike Philo¬ sophie sich bei dieser religiösen Entwicklung nicht begnügen konnte Aus dem Polytheismus mußte ein Henotheismus werden. Wir sehen, wie diese Entwicklung in zwei Ästen endet, im Pantheismus der Stoa und im Monotheismus Platons und seiner Nachfolger. Doch selbst hierbei blieb man nicht stehen. Poseidonios vermit¬ telte den Ausgleich zwischen der Stoa und Platon und machte aus dem stoischen Pantheismus jenen modifizierten Monotheismus, der für das Somnium Scipionis und das Buch jieq} zöofiov so charakteristisch ist. Gleichzeitig wurde in konsequenter Verfolgung der einmal eingeschlagenen Richtung der Gottesbegriff immer mehr

Beitr. XII, 2/4. Kroll, Hermes Trismegistos. 1

2

Die Götterlehre des Hermes.

verfeinert und vergeistigt, bis er schließlich in einer schwindelnden Transcendenz endet, die in ihrer Überspannung jedes religiöse Gefühl und alles philosophische Denken unfruchtbar macht. Auf dieser extremen Stufe treffen wir ihn zuweilen in den hermetischen Schriften an. Zuweilen , denn, um das doch wenigstens über den allgemeinen Charakter der Schriften vorauszuschicken, man darf in ihnen kein festes System mit bestimmten Lehrmeinungen suchen, man darf überhaupt nicht von einer Lehre des Hermes sprechen, sondern nur von Lehren und Meinungen, die unter seinem Namen sich finden, die, verschiedensten Zeiten und Strö¬ mungen entstammend, unausgeglichen und unverarbeitet neben¬ einander stehen.

Der höchste Gott ist bei Hermes nicht der, welcher die Welt und alles, was darin ist, geschaffen hat, er ist auch nicht der Nus, für den ihn Anaxagoras gehalten hatte, der mit stoischer Imma¬ nenz sich so gut vertrug; über all das ist er erhaben, wie er über jede befleckende Berührung mit der Welt hinausgehoben ist. Vor allem Seienden und allen Anfängen ev fiövov r\v cpcog voeqöv jtqo cponog voeqov, xal scniv de) vovg voog (paneivög. xal ovöhv eteqov rjv l) romov tvoxrjg a£i iv tavxco övxog (überl. cov), a£i toj kcivTOv vor xal cpcoxl xal jrvEv/uaxi nävxa ti£Qie%£i, so berichtet als hermetische Lehre Cyrill c. Jul. I. p. 555 M 1. Jamblich geht noch weiter, indem er nach Hermes behauptet, daß nicht einmal das vo^töv mit ihm, der in seiner Einheit vor allen Anfängen und allem Sein besteht, verflochten werden dürfe 2. Erst der zweite Gott, der von ihm sich ausgestrahlt hat, ist das Prinzip des Seins, der Grund des Intel ligiblen, der Gute, der Überseiende. Über die eigentliche Transcendenz ist also noch eine geschoben.

Hier hat die platonisch-aristotelische Gedankenrichtung voll¬ ständig über die stoische Immanenz gesiegt. Von dem Kampf beider Anschauungen geben uns bekanntlich die jüngeren Platoniker

1 vgl. Suidas s. v. ' Eg/nijs o zgio/niyioxog, p. 421 b.

2 So sagt er myst. VIII 2 : jzgo zcöv övzcog ovzcov xal xcöv ö/.a>v ägx<jör bozl dsog slg} jzgozegog xal zov jzgcbzov dsou xal ßaculzoog, axivrjzog iv /iorözr]zl zgg iavzov svovrjzog /uivcov. ovzs yag vogzbv avzco ijzuilixszai ovze ä).lo zi. Jiagd- dsiy/ua di idgvzai zov avzojzdzogog avzoydvov xal govojidzogog fieov zov ovzcog dyadov. {iei£ov yag zi xal jzgcözov xal Ttrjyr] jzdvzcov xal Jivd/nijv voov/uivcov jzodözcov l8sd)V ovzcov.

i. Kap. Der höchste Gott.

und Neupythagoreer ein deutliches Bild. Bei den letzteren scheint er ziemlich unentschieden geblieben zu sein, denn während einer¬ seits stoische Gedanken verkündet werden, ist man anderseits doch gerade mit den hermetischen Meinungen vertraut h So darf nach ihnen der von der Welt getrennte Gott durch nichts Körperliches befleckt werden, er ist die Ursache vor der Ursache, er ist seiner Würde und Natur nach über alles Denken und Sein erhaben, er ist nicht vovg, äXXä xal vöco ti xqsggov (Archytas b. Stob. ecl. I 280, 14)1 2. Übrigens erhebt auch Philon seinen höchsten Gott über alles Prinzip und den Gründer des Seins 3.

Es ist eine natürliche Folge, daß diese von allen geteilten, veränderlichen, körperlichen Dingen unbewegte Einheit, die stets für sich bleibt, ein anderes Wesen braucht, in dem sie wirkende Ursache wird. So hat sich denn nach Hermes Gott, obwohl sich selbst genügend, emaniert, so ist der amaQx^g ein amouccTcoQ geworden (Jambl. VIII 2). Er ist %ov jzqcotov xal evog d'eov öijfiiovQyög (Herrn, b. Lact. inst. VII 18, 3), und erst der zweite Gott ist der Anfang und Gott der Götter, fioi’dg ex tov evog ,

TiQoovGiog xal dQ%i] %r\g ovGtag. an’ avrov yctQ f] ovotövi] g xal i) ovGia, öiö xal ovoionarcoQ xaXelrai. ctvrög yaQ tcqoov rojg

öv eon, rcov votjtüjv aQ%i), öiö xal vorjTdQx^g nQOGayoQevercu 4. Im Zweiten bekommt also der Erste Gestalt 5, jene höchste Gottheit, die über allen Göttern thront und nur durch Schweigen verehrt wird (Jambl. VIII 3). Es gibt in der Tat nur einen einzigen Gott,

1 instar multorum sei der pythagoraisierende Platoniker Albinos ge¬ nannt, s. darüber Zeller, Philos. d. Gr. III 1 4, 843.

2 Zeller, a. a. 0., III 2 4 133 ff.

3 z. B. quaest. in Exod. II 68, 515 A: primus est ille, qui maior est etiam uno vel unico et principio. deinde entis verbum, seininativa entium vere essentia.

4 Jambl. ebd. Nach einer anderen Anordnung jedoch ist im Anfang

z6 sv dfisgeg, in dem das Erste, was denkt und gedacht wird, sich befindet.

An der Spitze der himmlischen Götter steht Kneph, der Nus, der sich selbst erkennt und anderer Erkenntnisse auf sich lenkt.

5 Dieser zweite Gott ist also eigentlich höher zu stellen als das Erste, das erst in ihm seine Gestaltung bekommt. Es ist schon Harleß, Das Buch von den Mysterien, München 1858, S. 20 f. aufgefallen, daß das in Wider¬ spruch zu dem eigentlichen Emanationsgedanken steht, der etwa zum Aus¬ druck kommt bei Porphyr, sent. 13 : näv io y sw tov zfj ovoia avrov %sTqov avrov yevvq.

1*

4

Die Götterlehre des Hermes.

andere Götter heißen nur uneigentlich so, wie auch Philon somn. I 229 sagt: der wahre Gott ist nur einer, der gewöhnlich so genannten gibt es mehrere.

Diese hochgespannte Transcendenz kann natürlich keine philo¬ sophische Bedeutung bekommen, sie ist von vornherein für jede Betrachtung unfruchtbar, zumal ja auch noch das zweite Prinzip von der unreinen und vergänglichen Materie nicht berührt werden darf. Der Gedanke, daß der höchste Gott über der Welt abge¬ schieden und erhaben throne und für die Berührung mit der Materie einen zweiten nötig habe, findet sich auch sonst bei Hermes. So wird im Asclepius 51, 13 (Thomas) der höchste Gott rector gubernatorque sensibilis dei eius genannt, qui in se circumplectitur . . . omnem rerum substantiam ... et omne quiequid est quantumcumque est. Der erste Gott steckt also nicht im Kreise der Materie, sondern thront fern von allem Körperlichen jenseits des Himmels (65, 3). Zur Berührung mit der Welt hat er seinen öioixrjTrjg, der zwischen Himmel und Erde seinen Platz hat und Juppiter heißt. Die Herr¬ schaft aber über Erde und Meer hat Juppiter Plutonius, der für das tierische und pflanzliche Leben sorgt. Die wahre Bezeichnung des zweiten Gottes erscheint Poimandres I 9, wo es heißt, daß Gott der Nus, der Mannweibliche, äjiexvrjoe Myco eteqov vovv dri^iiovQyov. Auch im 10. Traktat, z. B. 18, wird außer dem höchsten Gotte ein vovg örj^uovQyog angenommen. Vielleicht darf man auch II 12 heranziehen, wo der höchste Gott, der navrjQ und das dyad'öv als gesondert gedacht wird vom dacbfxaxov, dem xönog ev co ndv xtvEiTCu, der vovg xcd Myog ist. Sollte die Beziehung richtig sein, so würde das allerdings wieder an die überspannte Unterscheidung bei Jamblich erinnern. Die Grundauffassung, auf die es uns hier ankommt, ist jedenfalls klar. Einzelheiten wie der Myog oder vovg als dt][uovQyög werden später zu besprechen sein.

Wenn wir von einer Unterscheidung zwischen Gott und dem Demiurgen hören, denken wir natürlich gleich an die Gnostiker, an Vorstellungen, wie wir sie etwa bei Simo Magus treffen (Cle¬ ment. Hom. II 22, besonders XVIII 1, 11), oder bei Valentinos (Norden, Agnostos Theos 109), oder, um noch ein Beispiel aus den unendlich vielen herauszugreifen, in der koptischen Schrift des Codex Brucianus (C. Schmidt, Texte u. Unters. VIII (1892) 278), wo

1. Kap. Der höchste Gott.

5

das Erste der avxocpvrjg und avxoyEvvtjxog xbiiog genannt wird, während der zweite xöjrog örjfuovQyög , Vater, Aöyog, Quelle, vovg, Mensch, diötog und djiEQavxog heißt; er ist der Vater des Alls, wäh¬ rend der erste xojzog, der also auch jxqö vov ist, der erste Vater des Alls genannt wird. Bekannt ist ja die Scheidung des Judengottes, der zum Demiurgen herabsinkt, vom höchsten Gott (Harnack, D. G. I1 2 3 4 269, 272; Kroll, or. chald. 68). In der Tat ist diese Lehre von Gott ein Kriterium der Gnosis (Baur, Gnosis 218). Doch ist die Schei¬ dung, um die es sich handelt, nicht auf das spezifisch Gnostische be¬ schränkt. So unterscheidet auch Philon zwischen der verbor¬ genen, transcendentalen, über jede Bezeichnung hinausgehobenen Wesenheit Gottes und anderseits der offenbarten und mitgeteilten, von welcher der erste Übergang zur Schöpfung ist. Diese Differen¬ zierung des göttlichen Wesens, die sich auch direkt als Scheidung zweier göttlicher Personen herausstellt, ist bei ihm sogar recht häufig 4. Bekanntlich ist u. a. in dem Sinne von zAvei Göttern, die- sich wie Abbild zum Vorbild verhalten, auch das Wort der Genesis I 27 gedeutet: xal Enolr\(XEV ö d-EÖg xbv ävd'QcoJiov xax 3 Eixova d-Eov'2. Auch in den Fragmenten des Numenios nimmt die Spekulation über den höchsten Gott und sein Verhältnis zum Ö7]fuovQyög, wie er für gewöhnlich kurz genannt Avird, einen breiten Baum ein. Es schien dem Numenios, da er als Neupythagoreer den Gegensatz der Prinzipien auf die Spitze trieb, unmöglich, daß Gott selbst auf die Materie eingewirkt habe 3. So bezog er denn den weltbildenden Gott Platons auf ein vom höchsten Gott ver¬ schiedenes Wesen. Auf Platon beruft er sich auch für die Lehre, die er in den Worten gibt (Euseb. pr. XI 18, 23): ca avd'Qcojioi, ov xojid^EXE vfvElg vovv (gemeint ist örjfuovQyög) ovx egxl nQonog, dXXd EiEQog tcqö xovxov vovg rcQEoßvxEQog xal d-xiöxEQog 4. Der erste Gott ist für ihn dQyög EQycov £ vfxjiavxcov xal ßaoilEvg (Euseb. XI 18,8), bei ihm ist oxdoig, er ist jieql xd voxjxa, wäh-

1 Ein beliebiges Beispiel: leg. alleg. III 96.

2 Bei der Logoslehre werden wir näher auf die Unterscheidung der zwei Gottheiten eingehen.

3 Vielleicht ist er auch direkt vom Gnostiker Valentinos abhängig, Norden, Agnostos Theos 109.

4 Ein anderes Beispiel etwa XI 18, 3. S. auch W. Kroll, De oraculis cliald., Breslauer philol. Abh. VII 1, der S. 68 über diese Frage handelt.

6

Die Götterlehre des Hermes.

rend der schaffende örjftiovQyog mvovjievog und jieql vorjvä xal aiod'fjxd ist (Euseb. XI 18, 20 f.)

In diese Gedankenwelt reihen sich also die hermetischen Vor¬ stellungen ein. Jedenfalls ist die Einheit des höchsten Gottes mit aller Macht aufrecht erhalten 1, um so mehr, als zuweilen neben ihn, das gute Prinzip, die andere Spitze, das Prinzip des Bösen, neben Gott die v/ir], die präexistierende Materie gestellt wird, so daß ein Dualismus der Prinzipien entsteht, der seinen scharfen Ausdruck etwa in den Worten P. VI 4 erhält: 6 ydg xöoptog n^rjQcofia eon xfjg xaxiag, ö Sk d'sög %ov dyad-ov 2. Dualismus und Streben nach Transcendenz gehen ja Hand in Hand.

Nun muß man freilich nicht meinen, die hermetischen Schrif¬ ten bewegten sich durchweg auf dieser Höhe des Gottesbegriffes. Neben diesen Vorstellungen stehen vielmehr noch die hausbackenen Platons von Gott als dem örjfuovQyög navTcov und die poetisch pantheistischen Gedanken der alten Stoa.

Dies mag zur allgemeinen Orientierung genügen. Wir werden nunmehr die einzelnen Bestimmungen des göttlichen Wesens, der Reihe nach durchsprechen; erst so wird uns die Mannigfaltigkeit des hermetischen Gottesbegriffs aufgehen.

2. Allgemeine Bestimmungen des göttlichen Wesens.

a) Lokalisierung Gottes und ihre Folgen.

An einer S. 4 schon genannten Stelle des Asclepius (65, 3) hörten wir folgende Vorstellung von Gott: supra verticem caeli

1 P. IV 8, V 8, XI 9. 11, Jambl. myst. VIII 2. Man könnte hier aus der mandäisclien Lehre die Worte des ersten Stückes des rechten Genzä, p. 6, Brandt, mandäische Schriften , Gotting. 1893, 12 anwenden: „Gott hat keinen Vater, der älter wäre denn er, und keinen Erstgeborenen [zum Bruder], der vor ihm gewesen wäre; er hat keinen Bruder, der ihm seine Portion zerteilte, und keinen Zwillingsbruder am gemeinschaftlichen Anteil.“ Es sei noch einmal er¬ wähnt, mit welcher Ausdauer Philon stets die Einheit des höchsten Gottes betont, daß es nur einen Gott, einen jioujii)g und nair/Q und Öeojzozrjg gebe, z. B. conf. ling. 170; opif. in. 100 (vonPhilolaos) ; 171 Anf. ; leg. alleg. III 82; de mundo 601 M.

2 Daß hiergegen IX 4 polemisiert wird mit den Worten: xwQ'0V 7^9 avtfjg (d. i. xnxiag) i) yfj, ov% 6 xöo/uog, wg sviol noze igovoi ßlaoqprj/xovvreg darf uns nicht wundernehmen, ändert aber auch nichts an der obigen Be¬ merkung,

1. Kap. Der höchste Gott.

7

consistens ubique est omniaque inspicit, si 1 est enim ultra cae- lum locus sine stellis ab omnibus rebus corpulentis alienus.

Hier kommt eine ganz bestimmte Lehrmeinung zum Aus¬ druck, die freilich nicht in Griechenland, sondern in Syrien ent¬ standen ist2, die aber doch wohl schon an griechische Gedan¬ ken anknüpfen konnte, falls man einer Stelle des Sextus Glauben schenken kann, der die Meinung schon für Aristoteles in An¬ spruch nimmt 3. Wir treffen dieselbe Vorstellung noch im Schluß- gebet des Asclepius an, in dem der deus exsuperantissimus angerufen wird, der eine Übersetzung des Zevg oder (H)eog "Tipioxog oder navvTCEQTaxog ist, d. i. eben des Gottes, der als Lenker den höchsten Platz der Welt inne hat4. Die Vorstellung beruht wohl im Grunde auf der spezifisch chaldäischen Welteinteilung, von der später die Rede sein wird. Wie sie in Griechenland festen Fuß fassen konnte, können wir noch erkennen. Wir wissen, daß nach der Lehre der jüngeren Stoiker das Urpneuma von den Elementen nicht vollständig aufgezehrt wird, sondern daß ein Rest in Gestalt des Äthers am äußersten Ende der Welt wohnen bleibt, und daß von ihm als Gott oder Weltherrscher die Welt regiert wird5 6. Jetzt verstehen wir die Worte Tertullians Apolog.

c. 47 (St. v. fr. II 1034, Varro ant. rer. div. fr. 14 Schmekel): deum esse positum vero extra mundum Stoici (putant), qui flguli modo extrinsecus torqueat. molem hanc. Nach der zugrunde lie¬ genden Quelle sind wir bei dem Philosophen aus Apamea als dem Vermittler dieser Vorstellung angelangt <;.

1 So lese ich mit Thomas statt sic, vgl. noch 73, 3, P. XI 19.

2 F. Cumont, Die Orient. Delig. im röm. Heidentumc , übers, v. Gebrich,

Lpz. 1910, 153. 158. 3 Pyrrh. Hypot. III 218 (St. v. fr. II 1037): Agtoxorelgg

gev aocöfiazov einer eivcu deöv xai negag xov ovgavov.

4 Vielleicht muß man diesen Titel aber dem Übersetzer zuschreiben, da ihn der Pap. Mimaut (Reitzenstein, Arch. f. Del. VII (1904) 396) nicht hat. Der röm. Titel, nicht erst die Vorstellung, die schon das Somnium Scipionis kennt, und die wohl jedenfalls Poseidonios von den Chaldäern mitgebracht hat, ist im Römerreich seit Commodus nachzuweisen. Das ist das Ergebnis der Untersuchung Cuinonts, Jupiter summus exsuperantissimus (Arch. f. Del. IX (1906) 323 336). Übrigens werden wir auf diese Vorstellung von Gott bei Gelegenheit der öydoag wieder zu sprechen kommen. 5 Stein, Dsychol.

d. Stoa, Berl. Stud. III 1 (1886) 33 f. Aet. pl. I 7, 33 (Diels, Dox. 305, 15).

6 vgl. auch Philon quaest. in Exod. II 40,497 A. : post autem mundum non est locus sed deus; Apul. de Flat. I 95,9 deus ultramundanus. Eine

8

Die Götterlehre des Hermes.

Jedenfalls thront also der höchste Gott hoch erhaben über dem Getriebe und dem Lärme der Welt, und es stellt sich dabei von selbst die Vorstellung ein, daß dort oben um ihn ewiger Friede und unwandelbare Stille herrscht; er wohnt in der Stille; das steht allerdings nicht bei Hermes, sondern nur die Forderung, Gott mit Stillschweigen zu verehren (Jambl. VIII 3, P. I 31). Das hat neben anderen Ursachen, wie wir später bei der Gottesverehrung sehen werden, den Grund, daß eben Gott selbst als im Schweigen wohnend gedacht ist.

Daß die oiyrj auf Gott vielleicht auch auf die ganze Welt bezogen wird, der schweigend über allem wohnt, sehen -wir ganz deutlich z. B. in den oracula chaldaica (Kroll or. ehald. 16). Es ist uns auch sonst in der Gnosis recht geläufig. So heißt es in der 2. koptischen Schrift des cod. Brucianus (23 a), daß der in der ßovccg sich befindliche / lovoyevtfg ; in einer Stille (fjovyia) oder in einer Einöde {fiQEfiog) wohnt b Sehr oft wird Gott geradezu die oiyrj genannt, z. B. um bei demselben Werke zu bleiben, ebd. 49 a und 58 a* 1 2. Man braucht ja auch nur an die bekannte Hypo¬ stase der otyfj zu denken. Übrigens ist ganz dieselbe Vorstellung schon bei Philon in aller Deutlichkeit nachzuweisen b

Eine andere Folge dieser Lokalisation Gottes ist, daß er über aller Veränderung und Bewegung unbeweglich dasteht4; wozu noch die Vorstellung tritt, daß das, was die Bewegung ver¬ anlaßt, selbst unbewegt sein muß 5, wie uns das Poim. II 6, wo

Variation dieses Gedankens, die auch nahe genug an Poseidonios heranrückt, findet sich im Somn. Scip., nach dem Gott nicht direkt als außerhalb der eigentlichen Welt, sondern noch in der Fixsternsphäre gedacht zu sein scheint. Dieselbe Vorstellung auch in jt. xöopov 397b 24, vgl. 400a 4. S. Capelle, N. J. 15 (1905) 559.

1 Schmidt, T. U. VIII (1892) 291. ev rjov^ia xal rjQE/Lii'n jioklfj ist, wie ich nachträglich sehe, auch der Gott Valentins, Eiren. I 1, 1.

2 Schmidt, ebd. 307 und 31 2 f.

8 So sagt er quaest. in Genes. IV 1, p. 240 A: mens autem sapientis, quando in quiete et pace secura sedeat, illam quae secundum intelligibilem vitam laboris nesciam, similitudinem vere entis dei volens imitari quantum fieri possit.

4 s. z. B. Asel. c. 31 f.

5 zu der aristotelischen Vorstellung, die hier anklingt, vgl. Zeller II 2 3, 377 (Capelle, N. J. 15 (1905) 559, 10).

1. Kap. Der höchste Gott.

9

auf Gott, der iv egtojti ist, die Rede kommt, deutlich wird. Um Parallelen zu dieser Ansicht brauchen wir nicht verlegen zu sein. iv äxivrjico yaQ idqvpEvog navxa xlvel xal TTEQidyEt, heißt es 7i. xög/tov 400b 1 1 von Gott, und erst bei Philoti begegnet uns dieser Gedanke alle Augenblicke wieder1. Ja, er wehrt sich aus¬ drücklich gegen die eigentlich aristotelische Behauptung, daß es unziemlich sei, sich Gott so ewig ruhend ohne Tätigkeit2 * vorzu¬ stellen 8. Gerade die Gottesbezeichnung ö egtoo g muß ziemlich verbreitet gewesen sein; wir finden sie außer bei Philon (z. B. mut. nom. 54, post. Gain. 10 Schl.) u. a. auch bei Simon von Gitta4; sie ist von den Vorstellungen vom jiqwtoq und ösvrsQog d-EÖg nicht zu trennen 5 * *. Sehr deutlich kommt sie in den Worten des Numenios (Euseb. pr. XI 18, 20) zum Ausdruck: örjAovöii ö fihv

JZQOJTOg d'CÖg EGT CC l EGTCOg, Ö ÖE Ö EVXEQOg E fl 71 a Al V EGEL xivov fiEvog, civil ydq vf/g TTQOGOVGfjg ico öevteqco xlvtjge ojg

irjv TlQOGOVGCtV TCO JTQCOTCO GTCtGLV CpT]pl ETVCU XlVf]GlV GVflCfVTOV,

cicp’ f] g rjTE idgig cov xoGfiov xal r\ fiovrj äiöiog xal fj GooTfjQia äva%EiTai Eig oXa 5. Für ihn ist überhaupt der erste Gott ein¬ fach, unbewegt, das an sich Gute, ohne Berührung mit der Ma¬ terie, und deshalb auch untätig, aQybg EQycov fgvfiTrdvicov, wie wir früher schon hörten (Euseb. XI 18,8), rein der Betrachtung lebend (Zeller III 2 4, 237).

1 so z. B. post. Cain. 23 : ro [ik v ovv axhvcog sorojg 6 fleog eoxi, ro St Ktvi'jxov f] ysveoig ; ebd.29: dtov /uhv TSiov yge/uia xal oxdoig xxl.} quaest. in Genes. 142 p. 28 A: suprema vero causa stabilis est et iinmobilis, ut antiquis placet; post. Cain. 19 Schl. : o deog eozoog scpdaxs Jidvxa. Ph. soll ja auch eine Schrift ver¬ faßt haben: ozi äxQSJixov dttov.

2 Dieser Gedanke, daß dgyla eine Gottes unwürdige Bezeichnung sei, ist auch bei Hermes oft ausgesprochen. Beim Pantheismus kommen wir darauf zu sprechen.

provid. 6 p. 4 A. Für Gottes Unbeweglichkeit beruft er sich auch auf Philolaos opif. m. 100.

4 Clem. hom. II 22. 24, XVIII 12. 14. Hippol. ref. haer. VI 9. 13.

5 S. auch Euseb. XI 10, 2, Reitzen stein Poim. 305. Auch vom ov allein

wird die Unveränderlichkeit und Bewegungslosigkeit behauptet : Num. b. Euseb.

pr. XI 10,5 vgl. Philon, post. Cain. 28, Joseph, adv. Ap. II 16,167. Der

aristotelische Gedanke vom unbeweglichen jzqcozov xivovv begegnet oft wieder, z. B. bei Ptolemaios im Almagest (Boll, Studien über Claudius Ptolemäus r Jahrb. f. klass. Philol. Suppl. 21 (1894) 68).

10

Die Götterlehre des Hermes.

b) Gott aviojiäioiQ, avxöyovog xai ßovojidxojQ, f.iov oy 8vrj g, Gott und der vovg.

In der schon angeführten hermetischen Stelle (Jambl. myst. VIII 2) wird der höchste Gott avxojidxojQ, avxöyovog xai ^ tovo - ndicoQ genannt. Mit diesen eigenartigen Worten wird man ferner den Titel jiQondxoiQ Zusammenhalten, den in der Köqx] xdo^wv der höchste Gott (Stob. ecl. I 388, 16) und gleichzeitig Kamephis, von dem Isis ihre Offenbarung hat (394, 27), führen. Diese Namen sind durchaus nicht singulär. So findet sich jiQojiaxojQ im Pariser Zauberpap. 942; oder in Entsprechung des ev dysvvrjxov, Tiavxojv jiaxrjQ des Basiiides (Epiph. 24, 1) als Terminus bei den Valen- tinianern (Eiren. I 1,1; 12,3; II 6,3); ähnlich jiQoaQxt] (I 1,1) und amoTidxcoQ (Epiph. 31, 5) h Ähnliche Wortverbindungen braucht Eiren. I 5, 1, indem er vom öripnovQyög der Valentinianer sagt: xai ^rjxQOTidxoQa xai ändxoQa xai örj/taovQyöv avxbv xai Jiaxeqa xa- Aovoiv. Also nicht nur der höchste Gott erhält solche Titel son¬ dern auch der S i]fuovQyög; wie denn auch tatsächlich für beide jiQOJiavcoQ sich nachweisen läßt1 2. Wir danken es den Unter¬ suchungen Wobbermins, daß wir hier einigermaßen klar sehen. Diese ganzen Ausdrücke gehören nämlich höchstwahrscheinlich der Mysterienliteratur, besonders der orphischen, an 3. In denselben Kreis von Worten, dem eine Reihe anderer Termini wie abxoipvrjg , avxoyeved'Aog usw. angehören, ist vielleicht auch / lovoyevtfg zu rechnen, wie Gott und der löyog von Hermes bei Suidas s. v. * Eq[x . genannt werden 4.

Mit Gottes Wesenheit ist der vovg verbunden, denn 6 vovg . . . sg avxfjg xf\g xov d-eov ovoiag ioxiv , eiys xig ioxiv ovoia

1 Bousset, Hauptprobleme der Gnosis, Gött. 1907, 84.

2 W ob b er min, Rel igionsgesch. Studien, Berlin 1896, 85, für die ganze Frage s. auch S. 80 f.

Treffende Belege auch bei Raabe, Texte und Unters. IX (1893), 65.

4 über dsog fioroyevtjg s. Wobbermin 114 ff. Der Ausdruck govoyergg von Gott, der seinen vlog /zovoyerr/g emaniert habe, wird wohl in dem Xöyog zshiog gestanden haben, von dem der Asel, eine Übersetzung ist. Wenigstens heißt eg im Anschluß an das auch bei Lact. inst. IV 6, 4, Asel. 43, 1 überl. Fragment in der Schrift des Anthimus v. Nicomed. de sancta Ecclesia (Mercati in Studi e Testi 1901, 97) oder avzeg xai 6 govoyevgg dedg Jiaga. zov dsiov Iwawrjv Xeyovza vlov govoyevfj ngooeQQvg.

1. Kap. Der höchste Gott.

11

d-zov. Der Nus ist mit Gott vereint wie das Licht mit der Sonne (P. XII l)i; oder er wird als besonderer Teil Gottes gedacht, so wenn es XII 9 heißt: ö vovg fj tov d'sov ipv%i?]. An anderen Stellen wie V 1 1 wird er aber mit Gott wieder direkt identifiziert, wie denn auch Hermes auf die Frage, was Gott sei, u. a. ant¬ wortet: oocpcoxccTog vovg1 2. Ja, der Begriff Nus ist schon so abge¬ griffen, daß vom ersten Nus ein zweiter geschieden werden kann, vom mannweiblichen (!) Novg d-eog der Novg örjfuovQyög (P I 9) 3.

Kein Wunder, wenn man bedenkt, daß seit Anaxagoras dieser Begriff für das höchste Wesen gebräuchlich ist. Wir müssen es uns versagen, die Verwendung des vovg für Gott bei Platon, Xenokrates, dann vor allem den. Stoikern und schließlich bei den jüngeren Philosophen, vor allem Philon zu verfolgen 4. Erwähnt sei nur noch, daß auch im Gnostizismus dieser Gebrauch keines¬ wegs verloren gegangen ist; der vovg findet sich auch da in der¬ selben unverstandenen Hypostase, sodaß vom ersten vovg, der in i\ov%ia tlvl thront, der zweite, der mvov^evog gesondert wird 5. Man kann es wirklich nur aus der Abnutzung des Begriffes und noch mehr aus dem bis zur Manier gesteigerten Streben nach einem reinen, transcendenten Gottesbegriff erklären, wenn Gott nun auch noch über diesen wahrhaftig genugsam transcen¬ denten vovg gestellt wird, wie 11 14: 6 d'sög ov vovg eotlv, ahiog ök tov dvat vovv.

1 Genau hingesehen, soll damit aber doch nicht eine direkte Identifi¬

zierung von Gott und Nus ausgesprochen sein; das zeigt eben das Bild: ö vovg ovv ovx eoxiv d.Jioxex[x^]V^vo? TVS ovoLozrjzog xov üeov xjvco/UEVog, xad-

djl£Q xo xov fjMov cp cög.

2 Stob. ecl. I 34, 5; 399, 8 wird Gott zum äcpOagzog vovg.

3 Eigentlich gehört auch die Sonderung des menschlichen Nus von Gott, etwa XII 18 f. hierher. In I G sind der göttl. und menschl. vovg so durcheinander gewirrt, daß trotz Reitzensteins und Zielinskis Annahme von Interpolationen keine Klarheit zu erzielen ist, s. W. Kroll, B. E. VIII 1, 809.

4 Um doch wenigstens ein paar willkürlich aufgegriffene Beispiele zu geben, so mache ich für Platon aufmerksam auf Aet. plac. I 7, 31 (Di eis Dox. 304 a 5 b 26). Daß bei Xenokrates der vovg der jxgcözog ftsog war, sehen wir noch bei Plut. Is. 374 c (s. Heinze, Xenocr ., Leipzig 1892, 35). Für die Stoiker begnüge ich mich auf Diels, Dox. 587,17; 588,4 zu verweisen. Bei Philon ist der vovg zcöv ölcov ganz gebräuchlich, z. B. migr. Abr. 193; Gott ist der vovg tov Jiavxog o fxeyioxog xai zs^EioxaTog, spec. leg. I 18.

5 s. Schmidt, T. U. VIII (1892) 631.

12

Die Götterlehre des Hermes.

Schon oben haben wir gesehen, wo diese überspannten Gedanken gewachsen sind. Wir erinnern uns noch einmal der Worte des Archytas bei Stob. ecl. I 280, 14, daß das sich selbst Bewegende, Unsichtbare, daß Gott nicht vovg dllä xcd vom xi xqsgoov sei1. Derselbe Fortschritt im Gottesbegriff ist auch in den oracula chaldaica zu verzeichnen (Kroll, S. 12). Erwähnt sei ferner noch das Fragment Phiions bei Euseb. pr. VII 13,2: 6 ttqo xov Xöyov dvög xqelggmv egx'lv f) Tiäoa Xoyixrj cpvGig' xco ök v7i£Q xov Xoyov 8V xfj ßxXxLOxr] xcd xivi e^cuqexco xad'EGXMxi iöea ovösv d'if.ug xjv yxvvxjxöv ügojiioiovod'cu. Das ist ein gewaltiger Fortschritt gegen frühere Anschauung, wie sie etwa noch Cicero hat, der Tusc. I 66 aus seiner consolatio zitiert: nec vero deus ipse, qui intellegitur a nobis, alio modo intellegi potest nisi mens solnta quaedam et libera, segregata ab omni concretione mortali, omnia sentiens et rnovens ipsaque praedita motu sempiterno.

c) Negierung von Eigenschaften Gottes unter Einwirkung der Transcendenz.

Das Streben nach einer möglichst reinen Auffassung des Urwesens geht so weit, daß ihm, wie es scheint, sogar das Selbst¬ bewußtsein abgestritten wird. Die fragliche Stelle lautet P. II 5 vorjxög yaQ TZQonog ö ftvog egxiv fßuv, ov% tavxco, xo yäq vor\xbv xd) voovvxl alod'rjoxi V71071L71X8L. ö d'xög ovv ov% xctvxco voxjxog . ov yccQ äXXo xi mv xov voovfievov vq) tavxov <oü adi. Zielinski 2 *> V08LXCU . f\lliv Ö8 äXXo xi 80X1, ölä XOVXO fjßlv V081XCU.

Bei Besprechung dieser Stelle meint Zeller (246, 2), es solle damit nur die Unmittelbarkeit des göttlichen Selbstbewußtseins ausgedrückt, nicht aber geleugnet werden, daß Gott sich selbst denke. Sehr viel Wahrscheinlichkeit scheint das aber bei dem Gott, der selbst vor dem Nus ist, nicht zu haben. Es liegt nach dem Wortlaute offenbar der Gedankengang vor, den ich aller¬ dings erst als plotinisch kenne, daß jede$ Denken die Zweiheit des Denkenden und Gedachten voraussetzt; das Urwesen aber als das

1 vgl. w. Kroll R. E. VIII 1, 805; Zeller III 2 4 133,2.

2 und übersetzt Arch. f. Re]. VIII (1905) 337,2: „denn da er, der Den¬

kende, vom Gedachten nicht verschieden ist, kann er von sich selber nicht

gedacht werden.“ Doch läßt sich auch die andere Lesung halten.

i. Kap. Der höchste Gott.

13

Selbstgenügsame schlechthin kann kein Prinzip neben sich haben, dem es sich wie das Denkende dem Gedachten zuwenden kann; es muß ihm deshalb das Selbstbewußtsein abgesprochen werden 1. Ob der Gedanke bei Plotin originell ist, weiß ich nicht; er braucht es jedenfalls nicht zu sein, wenn man sich gewärtig hält, wie weit die Transcendenz schon in neupythagoreischen Kreisen gediehen war.

Daß wir bei der richtigen Deutung sind, zeigt uns auch die Polemik gegen diese einzig dastehende Ansicht. Gott ist ipsi soli sensibile atque intellegibile, heißt es Asel. 74, 20 2, weil er eben Alles und Alles er ist, also aus pantheistischen Vorstel¬ lungen heraus gesagt. Eine ausdrückliche, direkte, scharfe Re¬ aktion gegen die Ansicht findet sich P. IX 9: 6 öe deög ov% axjjiEQ Eviotg öö^el (so Zielinski, vgl. § 4 eqovglv) ävato-

d'i]TÖg EGEL XCt'l dvÖfjTOg B. VJlÖ yUQ ÖELGlÖCUflOVLag ß^aGCpfjflOVGL.

Daß die beiden in Betracht kommenden, an sich doppeldeutigen Worte nicht gebraucht sind zur Bezeichnung des Objektes unserer Erkenntnis, zeigt der Zusammenhang. Freilich die Beweisführung ist recht matt und wieder aus einer Art von pantheistischem Realismus versucht: ambg cmavxd egtlv, ovx sgcod'Ev amu jtqog- Acifißdvojv, Egco öe Ejuöiöovg. xul tovtö egtlv fj cuo\}rjGig xal 7/

VÖljGig TOV d'EOV , TO TU TTUVTU UEL XLVELV.

Die Negierung von Eigenschaften Gottes unter Einwirkung einer hochgespannten Transcendenz erstreckt sich auch auf andere

1 s. Zeller 541 f. Nachträglich finde ich aus der Gnosis Cod. Bruc. 57a, Schmidt a. a. 0. 312: „Ich preise dich, o sich selbst nicht denkendes Licht.“

2 vgl. XIII G, das ubjOsg ist das avxcg xaxahjjixor.

Daß Gott die alo&rjoig , ja sogar die prudentia abgestritten wird, geht nach Cic. n. d. I 30 schon auf Platons Leges zurück. Als aoeo/taror careat enim sensu necesse est, careat etiam prudentia, careat voluptate (gedacht ist an p. 821 A, Platon meint das aber nicht). Man sieht, wie tief die Wurzeln der Transcendenz hinabreichen. Zielinski, a. a. 0. 337 hält xai dvo>]rog für interpoliert in gedankenloser Parallelisierung von aloOijoig und vo?joi.g. Aber in der Begründung steht doch wieder ai'odrjGig und voijoig zusammen. Sollte auch das nur gedankenlose Parallelisierung sein? Gerade aus dieser Stelle kann man schließen, daß entweder in jener Stelle II 5 dvörjxog nicht nur den Sinn von Selbstbewußtsein haben soll, oder daß sonst irgendwo bei Hermes dem Urwesen die roijoig abgestritten worden ist (vielleicht Jamb.l. VIII 2 oYne ydg voi]tov aviM EjiuiXexExai ovie ä/J.ou?). Wie sollte auch der, welcher über dem vovg steht, ganz unberührt von ihm ist, vogoig haben? Ich meine, die Postulie- rung des dv6r]iog Ozog ist nur eine Folgerung jener überspannten Transcendenz.

14

Die Götterlehre des Hermes.

Bestimmungen. Wie Gott nicht Nus, sondern vor und über dem Nus ist, so hat er auch als Urgrund alles Seins das Sein unter sich, er ist, wie es Stob. ecl. I 293, 12 heißt, das jiqoov, aus dem jegliches Sein entspringt, oder jiqoovoiog xai äQ%i) xrjg ovoiag (Jambl. myst. VIII 2), oder jiqo xcov övxojg övxcov xctl xcov öAcov ctQxüv ebd. G so kann man ihn denn sogar ävovoi ctoxog1 2 nennen, ihm also gar das Sein aberkennen.

Diese Vorstellung klingt an gnostische Bestimmungen an. So wissen wir von Basilides (Hippolyt VII 20 f.). daß auch er in dem Bestreben, Gottes Wesen möglichst rein, d. h. negativ zu bestim¬ men, ihm das Sein abgestritten hat3, und für Valentin ist Gott Aiibv jiQocov (Eir. I 1, 1). Speziell das Prädikat nqoov führt bei Hermas das jivevfia, die Seele des Menschen; so sagt er Sinn V G, 5 x ö jivev^a xo äyiov xo jiqoöv, xo xxloav näoav xrjv xxlglv, xaxcpKioev ö fteog eig ociQxa , f\v 'fjßovXexo. Freilich die philosophische Begründung datiert, soviel wir sehen können, erst von Plotin, bei dem ja überhaupt die Bestim¬ mungen des transcendenten Gottes ganz besonders ausgebildet sind. Doch braucht das natürlich für unsere Schriften nichts zu besagen.

Auf alle möglichen Eigenschaften Gottes wird diese Negie¬ rungsmethode angewandt. Er ist nicht vovg, a'ixiog öh xov elvai vovv, er ist ovöe nvevpia, a'ixiog öh xov elvai jtvev/xa, ovöe (pibg, a'ixiog öh xov cp 6 3g elvai P. II 144. Doch darf man dabei freilich nicht vergessen, daß diese extremen negativen Bestimmungen eigentlich nur Ausnahmen bilden. Daneben sind durchaus noch die älteren in Kurs, und wie nach althergebrachter Weise das öv oder övxojg öv stehende Bezeichnung für Gott ist, so wird er auch von Hermes bei Cyrill c. Jul. I 555 genannt xai cpüg xai vovg xai Jivevfia, oder sein Wesen wird ebenda mit schon etwas mehr

1 Man sieht den beiden letzten Bezeichnungen nicht an, daß die eine vom ersten, die andere vom emanierten Gotte gebraucht wird.

2 Die Entwicklung des Seinsbegriffes zu diesem Radikalismus können wir noch P. XII 1 beobachten, wo es von der ovoia Gottes heißt: eiys 7/,' iouv ovo La dsov * xai jroia ug ovoa xvyyärn, ovxog /uövog dxgiß wg older.

:! vgl. auch, was Schmidt, T. U. VIII (1892) 348 zu den kopt. Schriften des Cod. Bruc. zu bemerken hat.

4 nahe kommt an die letzte Bestimmung heran Philon, somn. I 75.